Herren I: Rieß zieht die Bälle magnetisch an

HSG Fichtelgebirge – TV Münchberg 31:21

Die HSG Fichtelgebirge bereitet Münchberg vor 600 Fans ein Debakel. Im Landesliga-Spitzenspiel avanciert der Torhüter zum Matchwinner. Hammer trifft neun Mal.

HSG Fichtelgebirge: Rieß, Broško , Gruber – Petričević (4), Englbrecht (1), Burger (4), Bralic (3), Flasche, Hammer (9), M. Tröger (1), Mocker (6/4), Danielka (2), Kurzeck, Th.Birner (1)
TV Münchberg: Hurt, Roch – Oberländer (1), Kalas (3), Merz (1), Panzer, Leupold (1), Wilke (3), Bär (7/ 5), Mayer (1), Eckardt, Lad, Troßmann (4), Roßner
Schiedsrichter: Balzer/Schreiner (TV Gefrees)
Zuschauer: 600
Zeitstrafen: je 5
Siebenmeter: HSG 4/4, TVM 6/5
Rote Karte: Flasche (HSG/28.) mit Bericht
Spielfilm: 3:0,6:3,7:8,9:10,12:10,15:11, 15:13(Halbzeit),15:14,18:14,22:15, 23:18, 28:18, 29:20, 31:21

Da gab es keine zwei Meinungen: Held des Tages in diesem Landesliga-Verfolgerduell des Zweiten gegen den Vierten war vor der Saisonrekordkulisse von 600 Zuschauern René Rieß, der Schlussmann der HSG Fichtelgebirge. Der 36-Jährige, eigentlich dritter Mann hinter "Miro" Broško und Christopher Gruber, brachte die Münchberger mit seinen sensationellen Paraden schier zur Verzweiflung, schien die Bälle magnetisch anzuziehen. Wo er auch hingriff und wie, der Ball gehörte ihm. Das Publikum huldigte dem HSG-Urgestein und das bedankte sich mit geballten Fäusten Richtung Ränge.

19 12 09 René"Der Torhüter ist im Handball der wichtigste Mann, das hat man heute gesehen. Der Gegner war am Ende fix und fertig.“ Trainer Vladimir Haber sprach von einer "taktischen Superleistung" und sah sich in der Entscheidung bestätigt, seinem Senior nach den jüngst schon starken Vorstellungen erneut das Vertrauen zu schenken. "Ich war wirklich überrascht, dass mich der Trainer von Anfang an aufstellte, nachdem unsere beiden Schlussleute wieder fit waren", bedankte sich Rieß auf seine Weise: Er sei die Sache dann "locker und entspannt" angegangen.

Den Aussagen seines Trainer-Kollegen musste auch Frank Lichtinger zustimmen. "René hat uns den Zahn gezogen“, lobte der TVM-Coach, der am Ende 30 Fehlwürfe der Seinen zählte, wohl so viele wie noch nie in dieserSaison. Vor allem über die Außen und am Kreis war so gut wie kein Durchkommen, so dass am Ende das Duell der beiden starken Abwehrreihen deutlich an die Hausherren ging. Nur 21 Gegentore in einem Spitzenspiel sprechen Bände.

Das Spiel gestaltete sich wie der Wettlauf des Hasen mit dem Igel. Wo die Münchberger auch hinzielten, Rieß war schon da. "Wenn diese Bälle rein gehen, wird das eine ganz heiße Kiste", meint Lichtinger. Die wurde es zumindest eine Halbzeit lang und ein bisschen darüber hinaus. Die Hausherren mussten nach einem Katapultstart den Vorsprung (4:1, 5:2) wieder abgeben, ließen dabei auch einiges liegen, kassierten den Ausgleich (17.) und gerieten prompt noch in Rückstand (7:8). Münchberg witterte seine Chance, hatte zudem in Christopher Bär einen sicheren Siebenmeterschützen, ebenso wie die HSG in Philipp Mocker, der eine unglaubliche Coolness ausstrahlte. Die Führung wechselte nun hin und her. Doch diese HSG blieb zielstrebig, bissig und fokussiert, wirkte nur kurzfristig irritiert von der anfangs offensiv agierenden Gäste-Deckung und setzte sich wieder auf 15:11 ab.

Dann passierte es: Stefan Flasche sah nach einer harten Abwehraktion gegen Julian Merz die rote und dann die blaue Karte. Da kurz zuvor schon Valentin Kurzeck zwei Minuten kassiert hatte, folgte aus HSG-Sicht die kritischste Phase der Partie. Die Schiedsrichter bewerteten Flasches Foul als "besonders gesundheitsgefährdend", sodass dem Spieler eine Sperre droht. Die Münchberger waren sofort hellwach, verkürzten gegen vier HSGler bis zur Pause auf 15:13 und kurz danach auf ein Tor.

Das Derby schien zu kippen. Doch da gab es ja noch René Rieß und einen Erik-Ludwig Hammer, der sich in Gala-Form präsentierte, seinem Namen alle Ehre machte und im wahrsten Sinne den Hammer rausholte. "Ein Derby ist halt noch einmal ganz etwas anderes. Da bist du 20 bis 30 Prozent heißer", meinte der 22-Jährige. Neun Stück schenkte der Anlagenmechaniker aus Marktleuthen am Ende den Gästen ein und wirkte verständlicherweise überglücklich. "Es hat einfach funktioniert", schmunzelte er, "die Dinger sind ordentlich im Netz gehangen."

Die Münchberger wirkten sichtlich getroffen von dem unbändigen Siegeswillen der Fichtelgebirgler, die durch nichts zu stoppen waren und sich in einen "Flow“ spielten. "In dieser Phase haben wir die Leidenschaft und die Kontrolle in der Abwehr verloren", meinte Frank Lichtinger, der ansonsten seinen Spielern "wenig vorwerfen" konnte. "Das war nicht unser Tag!"

Spätestens nach Petar Petričevićs 21:15 (43.)  war die Messe gelesen. Die Gäste hatten endgültig den Glauben verloren, diesem Spiel noch eine Wende geben zu können. Verzweiflung spiegelte sich in den Gesichtern. So wurde das daraus, was René Rieß später als "richtige Watschn" bezeichnete. Die Haber-Truppe genoss das Oberwasser, lud zum Schaulaufen – sogar mit Kempatrick – und brachte die Halle zum Beben. Zumindest für eine Nacht konnte sie schon mal das Gefühl genießen, wie es sich anfühlt, als Tabellenführer einzuschlafen.

Quelle: Frankenpost Ausgabe Fichtelgebirge vom 09.12.2019, Sport aus der Region, Bericht und Foto: Peter Perzl